Das Kunstwerk
„Schuluhr“ von Olaf Nicolai an der Landesberufsschule Neunkirchen
Zeitmesser – zwei schnelle Zeitmessgeräte auf dem Dach
Die Landesberufsschule Neunkirchen erkennt man schon von Weitem an einer großen digitalen Anzeige auf dem Dach. Das sechs Meter breite achtstellige Display über dem Parkplatz sieht aus wie eine digitale Stoppuhr mit Stunden-, Minuten-, Zehntelsekunden und Hundertstelsekunden-Anzeige.Wenn man näher hinkommt und die Anzeige auf dem Display mit der aktuellen Uhrzeit vergleicht, sieht man. Es ist keine Stoppuhr sondern eine „gewöhnliche“ Uhr, allerdings eine, die Zeit besonders genau misst – bis auf die Hundertstelsekunde genau, absurd genau.
Wenn man diesem präzisen Zeitmessgerät eine Weile zusieht, kann man leicht das Gefühlt bekommen, dass einem die Zeit förmlich davonfliegt. Die Hundertstelsekundenanzeige ändert sich so schnell, dass man den Lauf gar nicht mehr mit bloßem Auge erkennen kann. Erst ein Foto bestätigt, dass die Hundertstelanzeige überhaupt funktioniert. Was das Auge nicht mehr erkennen kann, kann erst ein anderes Lichtmessgerät erkennen, eine Kamera.
Nicht nur vom Parkplatz aus, vor dem rechten Seiteneingang der Schule (zu den Werkstätten) ist eine Uhr zu sehen. Ein zweites Exemplar von identischer Bauart misst die Zeit hinter der Schule, vom Sportplatz aus gesehen. Auch diese Uhr stoppt nichts und niemanden, egal ob auf der Laufbahn gerade jemand läuft oder nicht – sie misst dieselbe Zeit, wie die vordere Uhr mit der selben Präzision und mit derselben Unerbittlichkeit.
Im Gewerbegebiet rund um die Schule sind die beiden Uhren nicht die einzigen digitalen Anzeigen, die man von Weitem sieht. Die Uhren passen so gesehen gut in ihre Umgebung. Sie fallen aber gleichzeitig auch auf, weil sie im Gegensatz zu den anderen Leuchtschildern und Anzeigen nichts bewerben und nichts ankündigen, sondern einfach zwei Zeitmesser sind.
Vergeht die Zeit schneller, je genauer man sie misst?
Der Eindruck beim Betrachten der Uhr, dass die Zeit immer schneller vergeht, je genauer man sie misst ist irgendwie falsch und richtig zugleich. Der Zeit ist es egal, ob sie gerade gemessen wird oder nicht. Sie vergeht einfach, immer gleich schnell (zumindest solange wir uns deutlich unter Lichtgeschwindigkeit bewegen).Aber in der Zeitwahrnehmung macht es einen großen Unterschied, wie sehr man z. B. einen Tag zerteilt: Gar nicht oder nur in 24 Stunden oder in 1.440 Minuten oder 86.400 Sekunden oder in 8,64 Millionen Hundertstel Sekunden.
Je genauer man die Zeit misst, desto weniger Zeit hat man für die Betrachtung der gemessene Spanne. Je feiner das Zeitmesser schneidet, desto weniger bekommt man von der Zeit selbst mit.
Damit spiegeln die beiden Uhren einen seltsamen Widerspruch unserer gegenwärtigen „Beschleunigungsgesellschaft“ wieder: Unsere Gesellschaft ist „beherrscht von der Zeit, die von ihr selber so schnell gemacht wurde, und unfähig, diese wahrzunehmen.“ (Das schreibt die Kunsthistorikerin Cornelia Offergeld auf www.publicart.at über die beiden Uhren).
In der Beschleunigung spiegelt sich andererseits auch der Fortschritt, die immer spezialisierten Werkzeuge, die uns zur Verfügung stehen. Nicht umsonst steht die Uhr auf dem Dach einer Berufsschule für hochpräzise Metallverarbeitungstechnik.
Zeitmessung und Zeitdruck – künstliche und natürliche Zeit
Die Uhren zeigen, wie technische Zeitmesser die Zeitwahrnehmung ändern und damit Zeitdruck überhaupt erst erzeugt. Sie stehen stellvertretend für viele andere Uhren, die das Leben immer mehr und immer genauer takten: Schuluhren, Stechuhren in der Arbeit, immer genauere Zeiterfassungssysteme – stundengenau, viertelstundengenau, minutengenau, … Uhren, die nicht nur den Schülern und Schülerinnen zeigen, wie lange sie noch Zeit haben, z. B. ein Werkstück zu fertigen, sondern auch den Lehrenden vorgeben, wie lange sie Zeit haben, ihren Stoff durchzubringen, Pausenglocken – Uhren für die Ohren – , die für die Erholungszeitbegrenzungen zuständig sind: Jetzt lernen, jetzt arbeiten, jetzt erholen.Diese gemessene und getaktete Zeit ist eine künstliche, menschengemachte Zeit. Noch bis ins Mittelalter und jenseits der industrialisierten Gebiete weit länger und bis heute gab und gibt es auch andere Zeitmessungen, die z. B. eher dem Lauf der Sonne folgen als dem Lauf einer Maschine:
Die „römische Zeit“ (im antiken Rom und im Mittelalter üblich) unterteilte den Tag in zwölf helle Tages- und zwölf dunkle Nachtstunden. Eine Tages-Stunde im Sommer war damit wesentlich länger als ein Tagesstunde im Winter. Im Sommer wurde entsprechend länger und mehr gearbeitet als im Winter. Im Winter war weniger zu tun. Es gab nicht genügend künstliches Licht und nicht genügend künstliche Wärme, um die Produktion über das ganze Jahr hinweg auf konstantem Niveau zu halten.