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Das Kunstwerk

„Form und Konsistenz“ von Agnes Fuchs an der Landesberufsschule Baden

Zuckerguss und Zahnschmelz – zwischen flüssig und steinhart

Was haben die auf den ersten Blick sehr verschiedenen Ausbildungen Bäckerei, Konditorei und Confiserie, Zahntechnik und Wachsziehen, die an der Landesberufsschule Baden angeboten werden, gemeinsam? Die Konsistenz des Materials ist für das Arbeiten wichtig: Wachs, Zuckerguss, Creme, Teig und Zahnfüllung haben gemeinsam, dass sie im flüssigen oder zumindest weichen Zustand geformt werden, um dann ausgehärtet und fest geworden diese Form auch zu behalten. Im Fall der Zahnfüllung möglichst so steinhart wie Zahnschmelz (Zahnschmelz gilt als eines der härtesten biologischen Materialien und schmilzt erst bei ca. 1600 °C.)

Wenn das Material flüssig oder noch sehr weich ist, braucht es zum Formen eine Gegenform. Um einen Zahn nachzubilden braucht es einen Abdruck von der Umgebung, damit die Form modelliert werden kann.

Schließlich wird in den Berufen der LBS Baden mit Schichten von Materialien gearbeitet, die auf verschiedene Weise darunter- oder dahinterliegende Formen oder tiefere Schichten übertönen , überformen oder komplett unsichtbar machen, je nachdem wie transparent das eingesetzte Material ist.

Konsistenz, Form und Transparenz auf einer Glasfläche

„Wenn man eine klebrige Masse hochzieht, gibt es einen Punkt, wo sie reißt.“

Die Künstlerin Agnes Fuchs hat die Frage nach den Gemeinsamkeiten der Lehrberufe an der LBS Baden in Form einer künstlerischen Arbeit beantwortet, die alle drei Themen Konsistenz, Form und Transparenz von verschiedenen Materialen behandelt. Sie tut das allerdings nicht, indem sie selbst mit flüssigen, cremigen und festen Materialien arbeitet, um daraus eine spezielle Form, ein Kunstwerk zu bauen oder zu gießen, sondern sie verzichtet darauf, dreidimensional zu arbeiten und beschränkt sich auf flächige Formen.

Die Arbeit – unter anderem angeschnittene und ausgeschnittene Kreisformen auf der Glasfront der Aula der Schule – ist ein Spiel, eine Art Experiment mit diesen Themen „Form“, „Konsistenz“ und „Transparenz“ und wie sich alle drei gegenseitig beeinflussen.

„Wenn man eine klebrige Masse hochzieht, gibt es einen Punkt, wo sie reißt.“ So beschreibt Agnes Fuchs z. B. den Zusammenhang zwischen Form und Konsistenz wenn man, einen Teig oder eine noch flüssige Glasur hochzieht. Die drei weißen Flächen an der Glaswand der Aula ahmen die kurzlebigen Formen, die in solchen Situationen beim Gießen und Hochziehen entstehen nach, variieren sie und halten sie auf der Wand fest. Das Gießen und Ziehen wird auf der Glasfläche festgemacht – mit weißer, undurchsichtiger Acrylfarbe, aufgedrückt und nicht gegossen.

Die mittlere der weißen Form ist ganz symmetrisch. Es gibt genau so viel Weißfläche oben wie unten, der Verlauf der Verjüngung bis zum Punkt in der Mitte, wo der dünne Faden beinahe reißt ist links und rechts derselbe. Die beiden anderen weißen Formen brechen diese Symmetrien auf den ersten Blick auf. Einmal ist der Weißflächenanteil oben größer wie der untere, einmal wirkte es als würde der Faden nach rechts bewegt werden (wie wenn der Ausgusslöffel in Bewegung wäre).

Wenn man genau hinschaut, sieht man allerdings, dass diese Variation nur durch Drehung und Verschiebung erreicht wird. Die Form ist jedesmal dieselbe Form, die übrigbleibt, wenn man zwei gleich große Kreise, sehr nah aneinander aus einer Fläche aussticht. Sie ist nur einmal nach oben verschoben und einmal leicht im Uhrzeigersinn gedreht (von außen, vom Hof aus gesehen).

Ausgestochene Form und übriggebliebene Gegenform oder umgekehrt?

Die dunkelgrauen, leicht durchscheinenden grauen Formen knüpfen daran an. Aber das Formenspiel verändert sich und wird komplizierter. Der Eindruck von Flüssigkeit ist verschwunden. Die Formen erinnern an Teigreste beim Ausstechen von Keksen. Die Kreise sind nicht mehr gleich groß und es ist nicht klar, ob die Formen Reste von Ausschnitten sind oder für sich selbst als eigenständige Formen stehen sollen. Dafür, dass sie eigenständige Formen darstellen spricht, dass sie – bis auf die Löcher – selbst Kreise bilden würden, wenn man sich die Löcher wegdenkt. Dagegen spricht, dass man den Eindruck hat, dass die dünnen Stellen viel zu zerbrechlich sind, als dass sie als eigene Form lange halten könnten, nämlich dort wo die Form genau so dünn ist, wie an der schmalsten Stelle in den weißen Formen.

Ist violett eine neutrale Farbe?

Daneben die stark violett getönten aber trotzdem transparenten Flächen ohne jede Kreisform, die einfach durch die Fensterrahmen begrenzt werden – rechteckig, durchsichtig aber eingefärbt. Hier wird auch wieder etwas offen gelassen: Was ist der Vordergrund und was ist der Hintergrund? „Welche Schicht soll man betrachten? Die violette Folie vertuscht von außen, bei Tag betrachtet, das Innere der Aula, ohne dass sie völlig undurchsichtig wäre. Von innen gesehen bringt sie den Hinterhof und die ganze Welt dahinter zum Leuchten, in diesem eigenartigen Violett.

Neben einem deckenden Weiß und einem leicht transluzenten Dunkelgrau färbte Agnes Fuchs einzelne Scheiben transparent violett in Anlehnung an den Lackmustest, der in der Chemie zur Bestimmung des ph-Werts, also des Charakters einer wässrigen Lösung, eingesetzt wird. Violett steht dabei für eine weder saure noch basische Flüssigkeit, „wie glasklares Wasser“, sagt die Künstlerin.

„Huggermugger“ bedeutet „Unordnung“ oder „vertuschen“

Dass eine Schicht etwas zum Leuchten bringen oder verbergen oder vertuschen kann, darauf spielt schließlich der sehr lange und doppelte Titel der Arbeit von Agnes Fuchs an: Dieser lautet in der ungekürzten Fassung:

„FORM UND KONSISTENZ – Über Konsistenz, Form und Gegenform/Indikation von Form und Konsistenz – oder:

HUGGERMUGGER GLACÉ – Die Irritation im Zuckerguss, das Klammheimliche oder die Verschwiegenheit der Zuckerglasur“

Das englische Wort „Huggermugger“ bedeutet, als Hauptwort „Unordnung“ und als Zeitwort „vertuschen“ oder „verheimlichen“.

Darin liegt vielleicht noch eine weitere Gemeinsamkeit der an der LSB Baden angebotenen Berufsausbildungen: Wenn in Schichten gearbeitet wird, wird etwas Darunterliegendes verdeckt. Mit dem Zahn ist etwas in Unordnung geraten. Das wird bedeckt, ausgefüllt, vertuscht und verheimlicht. Niemand soll mehr das Loch sehen. Im anderen Fall ist das Geheimnis ein Süßes. Und beim Wachs, könnte man weiterspinnen, ist das Material selbst so neutral, dass die Kunst darin besteht, mit Formen, Farben und Licht zu vertuschen, dass das Geformte „nur“ Wachs ist – und nichts zum Beißen.

Die Künstlerin Agnes Fuchs