Der Künstler Olaf Nicolai
Was macht der „Konzeptkünstler“ Olaf Nicolai?
Olaf Nicolai ist als Künstler schwer zu beschreiben, weil er sehr verschiedene Dinge macht.
„Olaf Nicolai (*1962) gilt international als einer der herausragenden deutschen Künstler. Mit seinen Arbeiten steht er in der Tradition der Konzeptkunst, die das Verhältnis von Idee und Bild oder von Idee und Objekt überprüft. Mit konzeptionellen Ansätzen und unterschiedlichen Medien stellt Nicolai die gewohnten Betrachtungsweisen der Alltagswelt immer wieder infrage. Theorien aus Natur- und Geisteswissenschaften übersetzt er ästhetisch-künstlerisch und lässt sie im neuen Kontext erfahrbar werden.“1
Was heißt das? Was macht Olaf Nicolai sonst so, wenn nicht gerade Schuluhren? Eine Auswahl:
Eine Sitzlandschaft nach der Vorlage eines abstrakten Gemäldes (1998). Das Bild besteht aus farbigen Rechtecken. Nicolai baut das Bild liegend und vergrößert, aber maßstabsgetreu nach und erweitert es ins Dreidimensionale, indem er aus den flachen Rechtecken farbige Podeste macht, so dass eine Sitzlandschaft entsteht.
Eine andere digitale Uhr, in einer Ausstellung im Atelier, die – als einziges Ausstellungsstück im Raum – den Countdown bis zum Ausstellungsende anzeigt (2000).
Er baut und bläst einen 400 x 900 x 300 cm großen Nike-Turnschuh auf, in dem man auch Sitzen kann, wenn er auf die Seite gekippt ist (2001).
Er lässt in Rom Schafe in einem Park mit alten römischen Ruinen weiden (2004).
Ein baut ein 43 C° warmes, schwarzes Einhorn aus präpariertem Fell, Horn, Polyester mit elektrischer Heizung und entsprechend eingebauter Temperatursteuerung (2006)2. Das Fabelwesen wirkt durch die Wärme lebendig. Bei 43 C° gerinnt Eiweiß. Kein wirkliches Säugetier ist bei dieser Körpertemperatur am Leben.
Das Deserteursdenkmal in Wien
Und am Ballhausplatz in Wien – zwischen Bundeskanzleramt und Präsidentschaftskanzlei – errichtet er das „Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz“: Die Nazi-Militärgerichte verhängten während des Zweiten Weltkriegs im gesamten Dritten Reich rund 30.000 Todesurteile, die meisten davon gegen Menschen, die sich weigerten für Hitler in den Krieg zu ziehen. Rund 15.000 Menschen wurden getötet. Darunter mehr als 1.500 Österreicher. Der bekannteste unter ihnen ist der oberösterreichische Landwirt Franz Jägerstätter, der 1943 von den Nazis getötet wurde, weil er den Kriegsdienst aus Glaubens- und Gewissensgründen verweigerte. Jägerstätter wurde 2007 von der katholischen Kirche selig gesprochen. 2014 wurde das von Olaf Nicolai gestaltete Denkmal in Wien eröffnet. Es ist das erste Denkmal für Kriegsdienstverweigerer in Österreich.3
Das Denkmal sieht aus, wie ein liegendes X, das man über drei hohe Stufen auch begehen kann. Die von oben lesbare Inschrift stammt aus einem Gedicht des schottischen Künstlers Ian Hamilton Finlay (1925-2006) und lautet4:
all all all all all all all all all all all all all all all all alone all all all all all all all all all all all all all all all all
Franz Jägerstätter gab bei der Volksabstimmung über den Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland am 10. April 1938 die einzige Nein-Stimme in seinem Ort ab.5
Aus der DDR zur Konkrete Poesie der Wiener Gruppe
Bildartige Gedichte, wie jenes von Finlay stehen am Anfang von Nicolais Ausbildung und Berufslaufbahn.
Nicolai wuchs in der damals noch existierenden DDR, in Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz auf, das jetzt v. a. als Standort der deutschen Autoindustrie bekannt ist. Von 1983 bis 1988, also noch knapp vor der der Wende, studierte er Germanistik an der Universität Leibniz, das er mit einer Doktorarbeit über die Poetik der Wiener Gruppe abschließt. Die Wiener Gruppe war ein loser Zusammenschluss und Freundeskreis von Dichtern und Schriftstellern, die sich unter anderem auch mit Bildgedichten beschäftigten.
Buchstabenformen und Ziffernfolgen
Vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, dass in der Schuluhr Nicolais auch eine poetische Komponente steckt, die nicht so leicht auf den ersten Blick erkennbar ist, wie im Falle eines Bildgedichts, weil der Rythmus der Ziffern im Fall der Uhr über die Zeit abgebildet wird und nicht über die räumliche Figur, die die Buchstaben ergeben. Jede einzelne Ziffer folgt ihrem eigenen Rythmus, der aber immer zugleich ein Bruchteil oder ein Vielfaches des Rythmus der benachbarten Ziffern ist. Es ist in beiden Fällen eine unerbitterliche Art der Poesi.