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Das Kunstwerk

„Chaos im Regal“ von Susanne Schuda und Florian Schmeiser an der Landesberufsschule Theresienfeld

Chaos an der Wand

Wenn man von der Direktion der LBS Theresienfeld kommend den eher schmalen Gang Richtung Speisesaal geht, kommt man an eine Glastür, die einen großzügigen, hellen Raum öffnet, an dessen gegenüberliegender Seite früher die Eingänge zu den Toiletten zu sehen waren.Jetzt sieht man, wenn man durch die Glastür kommt, ein riesengroßes Bild, das auf einer eingezogenen Zwischenwand angebracht ist. Eigentlich zwei Zwischenwände, die durch einen Spalt unterbrochen sind, der dadurch zustande kommt, dass der rechte Teil der Wand etwas in den Raum hineingedreht ist. In den linken Teil der Wand und damit in der Mitte des Bildes sind einige hohe, rechteckige Spalte eingeschnitten, die zusätzlich ein wenig Licht in den verbleibenden Zugangsraum zu den Toiletten lassen. Wahrscheinlich ist das die Funktion dieser „Löcher“. Ansonsten geht das Bild vom Boden bis zur Decke und sieht auf den ersten Blick wie eine chaotische Collage aus bunten Bildausschnitten aus illustrierten Zeitschriften, Farbtupfern und Strichen aus.

„Chaos im Regal“

Auf den zweiten Blick sind, gezeichnet wirkende, geometrische Linien im Hintergrund zu sehen, die sich auf den dritten Blick als Zeichnungen vom Innenraum eines Supermarkts entpuppen. Hauptsächlich Supermarktregale, aber auch eine Kassa und die Struktur der Deckenkonstruktion sind zu erkennen. Teilweise lösen sich diese Linien zu blasenartigen Strukturen auf, die oft wieder bunte Vordergrundelemente enthalten.Auf der linken Wand, ungefähr in der Mitte des ganzen Bildes, ist außerdem ein kleines rechteckiges, Metallkästchen mit einem rot schimmernden Glasfenster eingearbeitet. Wenn man näher hingeht und wenn man weiß, wie ein Supermarktwarenscanner aussieht, kann man das Kästchen als genau solchen Scanner erkennen.

Das Chaos versteckt Funktion

Durch die chaotische Anordnung der bunten Bildausschnitte und Farbtupfer, durch die zwei verschiedenen Bildebenen und durch die Löcher und den Spalt zwischen den Wandteilen entsteht der Eindruck, dass hier dauernd etwas versteckt wird:Die Wände verstecken die Funktionsräume dahinter, also die Toiletten. Die bunten Bildausschnitte und die gezeichneten Blasen überdecken die geometrischen, funktionalen Strukturen des Supermarktraums. Der Warenscanner tarnt sich als Bildelement. Und die Lichtlöcher und der Spalt zwischen den Bildteilen löst zusätzlich die Einheit des Bildes auf. Sind das zwei Bilder oder nur eines?

Chaos in der Luft

Wer auf die Idee kommt, irgendeinen Konsumgegenstand, mit einem Barcode (oder Barcodepickerl) an den Scanner zu halten, der oder dem offenbart sich das versteckteste Geheimnis dieser Arbeit: Das Bild beginnt Sound zu produzieren. Das vermeintliche Bild entpuppt sich als Musikinstrument.Aber dieses Musikinstrument „funktioniert nicht richtig“. Es ist unmöglich, einen Sound durch wiederholtes Scannen der selben Ware einfach zu wiederholen. Das Chaos setzt sich in der Luft fort. Der Sound hat ein Eigenleben. Man kann ihn zwar ein bisschen steuern: indem man scannt produziert man ihn, aber man kann ihn nicht vollständig kontrollieren. Er verändert sich, er moduliert sich, bei jedem Versuch einer Wiederholung, bei jedem Versuch, das Instrument zu beherrschen.

Welche Funktion hat dieses Musikinstrument für die Schule?

Ordnung im Regal für die Handelslogistik – Chaos für die Schule?

Die LBS Theresienfeld ist v. a. auf Einzelhandelsberufe und Handelslogistik spezialisiert. In diesen Berufszweigen ist Ordnung im Regal ein Schlüssel für den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen.Die künstlerische Arbeit in der Schule bricht diese Ordnung auf bzw. überdeckt ihre wirtschaftliche Funktion mit chaotischen, unkontrollierbaren Elementen.

Aber was wollen die KünstlerInnen damit sagen oder was wollen sie damit bewirken? Geht es darum, die Ordnung und damit das Funktionieren zu zerstören? Oder geht es „nur“ darum, diese Ordnung zu verstecken, zu kaschieren? Eine Illusion von buntem, kreativen Durcheinander zu erzeugen, an einem Ort, an dem u. a. kühles Kalkulieren unterrichtet wird?

In ihrem Text zur Arbeit schreiben die beiden KünstlerInnen, Susanne Schuda und Florian Schmeiser, die die Arbeit gemeinsam für die LBS Theresienfeld entwickelt haben:

„Die Installation „Chaos im Regal“ bricht mit der Ordnung. In dem digital erstellten Wandbild wird der klare Aufbau eines Supermarktes durch grafische Sprengungen und abstrakt-narrative (digital erstellte) Collagen gestört.“

Ein Instrument für KonsumentInnen

Schuda und Schmeiser sind wie zwei KonsumentInnen an einer Kassa in einem Supermarkt, die zeigen, wie man als KunsumentIn NICHT funktionieren kann. Anstatt den KassiererInnen das Scannen zu überlassen (wie es 2004, als die Arbeit entstanden ist, noch ausschließlich üblich war) nehmen sie selbst den Scanner in die Hand. Beginnen zu experimentieren, Musik damit zu machen. Töne zu erzeugen, dadurch dass sie ihre Waren nicht einmal sondern immer wieder über den Scanner ziehen. Und dann bauen sie auch noch den Scanner aus und fangen an, daran herumzuprogrammieren. So geht das aber nicht! – „Zweite Kasse bitte!“

Funktion der Arbeit

Normalerweise sagt man über Kunst, dass sie keine Funktion haben muss. Aber diese Arbeit hat zwei ganz verschiedenen Seiten. Vorne entspricht die Arbeit mehr dieser gängigen Vorstellung von Kunst. Sie ist bunt, sie verwirrt, sie hat keine eindeutige Aussage. Sie ist etwas Eigenständiges.Auf der Rückseite ist das Kunstwerk komplett anders. Die Arbeit hat eine begehbare Rückseite. Dort wird nicht übermalt, überdruckt, oder kaschiert. Simple weiße Wand und dort, wo auf der anderen Seite der Scanner ist, ein – normalerweise verschlossener – Deckel, um notfalls zur Elektronik für den Scanner zu kommen, wenn er einmal nicht funktionieren sollte. Das Kunstwerk hat einen Serviceeingang, hinten bei den Klos. Dort ist es selbst funktional, praktisch, kalt und nüchtern.

Die Künstler_innen Susanne Schuda und Florian Schmeiser